Hundesprache richtig deuten – warum Missverständnisse gefährlich sind: Hundebisse sind kein Randthema – sie betreffen jedes Jahr zahlreiche Familien. Besonders gefährdet sind Kinder, da sie oft näher an Hunden interagieren, deren Signale aber nicht richtig deuten können. Dabei gilt: Nicht „der böse Hund“ ist das Problem, sondern Missverständnisse in der Kommunikation zwischen Mensch und Hund.
Am ersten Freitag im Oktober wird weltweit der Tag des Lächelns gefeiert. Für uns Menschen bedeutet ein Lächeln Freude und Sympathie. Doch wenn Hunde die Zähne zeigen, handelt es sich oft nicht um ein freundliches Signal, sondern um Droh- oder Warnsignale.

Gerade Kinder missverstehen dies häufig. Sie sehen einen Hund mit gefletschten Zähnen und sagen: „Der lacht!“ – und möchten ihn umarmen.
Solche Missverständnisse gehören zu den häufigsten Ursachen für Bissverletzungen im familiären Umfeld (Meints, Brelsford & De Keuster, 2018).
Hundesprache vs. Menschensprache
Hunde kommunizieren überwiegend über Körpersprache. Menschen – und besonders Kinder – deuten diese Signale oft falsch. Studien zeigen:
- Kinder unter 10 Jahren erkennen ängstliche Hundesignale besonders schlecht (Lakestani et al., 2015).
- Droh- und Stresssignale wie Knurren, Zähnezeigen oder ein fixierender Blick werden häufig als „freundlich“ missverstanden (Meints, Brelsford & De Keuster, 2018).
Eine Studie von Arhant et al. 2017, PMC/NCBI untersuchte, wie Kinder bis 6 Jahre mit Familienhunden interagieren und wie Eltern/Begleitpersonen diese Situationen einschätzen.
- Viele Eltern unterschätzen riskante Situationen, etwa wenn Kinder den Hund am Schlafplatz stören, Spielzeug wegnehmen oder beim Fressen anfassen.
- Häufig wurden Beschwichtigungssignale oder die ersten Drohsignale des Hundes nicht wahrgenommen.
- Fazit der Autor:innen: Prävention muss auch bei den Erwachsenen ansetzen – durch Aufklärung über Hundesprache und konsequente Aufsicht.
Und ja, Hunde können Lächeln:
Eine Ausnahme bildet das sogenannte „submissive grin“ – ein unterwürfiges „Lächeln“ mit hochgezogenen Lefzen, aber entspannter Körperhaltung.
Doch auch hier gilt: Nur die gesamte Körpersprache gibt Aufschluss.
Wissenschaftlich gesichert – was Studien zur Bissprävention zeigen
Die Forschung der letzten zwei Jahrzehnte ist eindeutig: Hundesprache ist erlernbar – und damit auch Bissprävention möglich.
- Trainingsprogramme für Kinder: Bereits kurze Videotrainings verbessern die Fähigkeit von Kindern, Hundesignale korrekt zu erkennen (Lakestani et al., 2015; Meints, Brelsford & De Keuster, 2018).
- Langfristiger Effekt: Verbesserungen im Erkennen von Drohsignalen bleiben über Monate erhalten (Meints et al., 2018).
- Eltern als Schlüsselrolle: Prävention wirkt am besten, wenn auch Eltern aktiv in die Trainings einbezogen werden (Meints & De Keuster, 2021).
- Medizinische Relevanz: Eine Studie aus Bern zeigt, dass die Mehrheit der Hundebissverletzungen zwar mild ist, ein relevanter Anteil jedoch schwerwiegender ausfällt – besonders bei Kindern (Ehrhard et al., 2023).
Zahlen und Fakten zu Hundebissen

Die im Kanton Bern gemeldeten Vorfälle von Hundebissen zeigen eine Zunahme von 2020 bis 2024.
Die Zahlen zeigen deutlich: Hundebissvorfälle sind nicht selten – und sie betreffen vor allem vertraute Situationen im Alltag.
Die Dissertation von Horisberger (2002) untersuchte landesweit zahlreiche Fälle:
- Kinder sind besonders gefährdet – vor allem im Alter von 0–9 Jahren.
- Kopf- und Gesichtsverletzungen dominieren bei Kindern, während Erwachsene eher an Armen und Beinen gebissen werden.
- Die meisten Bisse passieren durch bekannte Hunde – eigene oder aus dem Familien- und Bekanntenkreis.
Rasse, Grösse & Realität – was wirklich eine Rolle spielt
In der Presse wird oft betont, dass grosse Hunde „gefährlicher“ seien. Die Studienlage in Europa zeichnet ein differenzierteres Bild:
- Kleine Hunde beissen nicht unbedingt seltener, ihre Bisse führen jedoch zu weniger schweren Verletzungen. Dadurch werden sie seltener gemeldet oder medizinisch dokumentiert (Horisberger, 2002).
- Häufig genannte Rassen in Schweizer und österreichischen Statistiken sind Mischlinge, Schäferhunde, Retriever (Labrador und Golden Retriever) und Sennenhunde. Diese Häufung spiegelt jedoch vor allem ihre Verbreitung in der Hundepopulation wider (Kienesberger et al., 2021).
- Amerikanische Traumazentren berichten häufiger über Pit-Bull-Typen als Verursacher schwerer Verletzungen (Bykowski et al., 2019). Dies hängt jedoch mit Haltungsbedingungen, Populationsdichte und dem teils noch bestehenden Einsatz in Kämpfen zusammen – und ist nicht direkt auf die Schweiz übertragbar.
Fazit: Entscheidend sind nicht Rasse oder Grösse, sondern Faktoren wie Aufsicht, Sozialisierung, Training und ein sicherer Umgang von Kindern und Erwachsenen mit dem Hund.

Ein Beispiel:
Der Fokusreport 2019 (Univ. Klinikum Graz) zeigt: kombiniert (n = 16) werden die Retriever, im Bericht Golden Retriever (n = 10) und Labrador Retriever (n = 6), fast genauso häufig in den dokumentierten Bissfällen genannt wie Schäferhunde (n = 17).
Diese Zahlen stammen jedoch nur aus den 111 Fällen mit bekannter Rasse und dürfen nicht isoliert als Rasse-Etikett gelesen werden. Das Fazit bleibt: Aufsicht, Sozialisierung und situative Vorsicht sind wichtiger als die Einstufung nach Rasse oder ‚Familienhund‘-Image.
Kinder & Hunde – Chancen und Risiken
Hunde sind für Kinder mehr als Spielgefährten: Sie fördern soziale Kompetenzen, Verantwortungsbewusstsein und sogar die Gesundheit (z. B. geringeres Allergierisiko durch frühe Tierkontakte).
Gleichzeitig sind Kinder gefährdet, weil sie Hundesignale intuitiv falsch deuten. Besonders riskant sind Situationen beim Spielen, Rennen, Füttern, Anstarren oder Umarmen – typische Verhaltensweisen, die Hunde als Bedrohung empfinden können.
Praktische Tipps für Eltern zur Bissprävention
Damit Hund und Kind sicher zusammenleben können, helfen einfache Grundregeln:
- Aufsichtspflicht: Kleine Kinder niemals unbeaufsichtigt mit einem Hund lassen.
- Hundesprache lernen: Steife Körperhaltung, fixierender Blick, Lefzen hochziehen oder Knurren sind klare Warnsignale. Wir helfen dir – schau in unserem Blog nach.
- Familienregeln: Keine Umarmungen, kein Anstarren, kein Weglaufen vor dem Hund. Gehe das Arbeitsbuch durch mit deinem Kind – Jugendlichen.
- Üben im Alltag: Kinder aktiv in die Kommunikation mit dem Hund einbeziehen – so lernen beide Seiten Vertrauen und Respekt. Hier geht es zu unserer Jugend Gruppe.
Fazit
Am Tag des Lächelns lohnt sich ein Perspektivwechsel: Ein Hund, der die Zähne zeigt, „lächelt“ nicht – er warnt.
Studien belegen klar: Hundesprache ist erlernbar, und Bissprävention ist möglich.
Wer die Signale von Hunden erkennt und respektiert, schützt Kinder wie Hunde – und schafft die Basis für ein sicheres, harmonisches Zusammenleben in der Familie.
Hier kostenlos herunterladen:
Quellen
- Arhant, C., et al. (2017). Caregiver reports of interactions between children up to 6 years and their family dog – Implications for dog bite prevention. Journal of Veterinary Behavior, 16, 10–17.
- Bykowski, M. R., et al. (2019). Dog bites in the United States: epidemiology and clinical update. Plastic and Reconstructive Surgery, 144(3), 709e–719e.
- Ehrhard, N., et al. (2023). Dog bite injuries in a Swiss university children’s hospital: A 10-year review. European Journal of Pediatrics, 182, 3993–4001.
- Horisberger, U. (2002). Hundebissverletzungen in der Schweiz: Epidemiologische Untersuchungen und Präventionsmöglichkeiten. Dissertation, Universität Bern.
- Kienesberger, K., et al. (2021). Epidemiology of dog bite injuries in children—A 10-year, single center study. Wiener Klinische Wochenschrift, 133, 1029–1037.
- Lakestani, N. N., et al. (2015). Children’s interpretation of dog behaviour. International Journal of Environmental Research and Public Health, 17(2), 506.
- Meints, K., Brelsford, V., & De Keuster, T. (2018). Teaching children and parents to understand dog signaling. Frontiers in Veterinary Science, 5, 257.
- Meints, K., & De Keuster, T. (2021). Dog bite prevention: education is key. Veterinary Record, 189(5), e1137.
